Gregor Jansen / Sunyata on the move -
Wenn zu perfekt, liebe Gott böse! Nam June Paik, 1993

Globalisierung. Wenn das 20. Jahrhundert das Jahrhundert Amerikas war, dürfte das 21. Jahrhundert das Asiens werden. Letztlich leben über 60% der über sechs Milliarden Menschen zählenden Weltbevölkerung auf diesem Kontinent. Die Vorbildfunktion asiatischer Geschäftigkeit, Gesellschaftsstruktur und Mystik genießt in der westlichen Welt hohe Akzeptanz. Mediale Integration hat als bunte Welt der Bilder und Klänge, der Mode und Autoindustrie, der Nahrung und der Ästhetik längst stattgefunden. Japan, das Land, das uns Walkman und tragbares Fernsehgerät geliefert hat, wird uns bald den Internetzugang per Handy am Handgelenk ermöglichen. Die Miniaturisierung jeglicher Medienbereiche, das Aufeinandertreffen von traditioneller Kultur und Stille auf fortschrittliche High-Tech und hektische Geschäftigkeit erscheinen als Konsequenz der globalen Entwicklung, die das lokale, krisengeschüttelte Japan, aber auch unseren Blick auf die KünstlerInnen aus Japan und Korea prägen.

Service und Pop. Folgerichtig beginnt der Rundgang durch den ostasiatischen Teil von CONTINENTAL SHIFT im Zentrum Aachens vor dem Stadtheater. Hier hat Tazro Niscino/23 (Köln) ein Hotel aus Baucontainern installiert, das Reisenden für eine Nacht Unterkunft bietet. «Hotel Continental» ist Ausdruck des multikulturellen Aufeinandertreffens und Reisens, das Denkmal der «Fröhliche Hengst», 1962, von Gerhard Marcks steht im Foyer, ist Symbol für die ungeheuren Veränderungen der asiatischen Metropolen und des Transports und Handels. Buchen Sie Ihre Übernachtung im luxuriösen Doppelzimmer! In allen vier Städten hängen die kleinen Boxen von Tsuyoshi Ozawa/28 (Tokio). In der «New Nasubi Gallery» hat er Künstler aus der Euregio eingeladen, auch Teilnehmer bei CONTINENTAL SHIFT zu werden. In der Öffentlichen Bibliothek der Stadt Aachen zeigen Tomoko Take und Chikako Watanabe/44 (beide Amsterdam) ihr Projekt «Go berry wild !», einen Workshop mit Kindern. Die Reise zum Mars und das Retten wundervoller Pflanzen bildet den Background für ein über Mode, Popsong und Fanartikel abgerundetes Merchandising.

Unter dem Stichwort und Klischee des «Service» gehen die Künstler Tazro Niscino, Tsuyoshi Ozawa, Tomoko Take und Chikako Watanabe auf Veränderungen des Kunstkontextes ein, indem neue Räume, Systeme und Kommunikationsmuster gesucht werden. Ebenso verweisen Rirkrit Tiravanija (New York) und Navin Rawanchaikul (Fukuoka) mit ihrem Tuk Tuk/31, einem thailändischen Taxi, auf die angesprochenen Phänomene, wie auch der Neuseeländer Peter Robinson/33 (Berlin) transnational an allen Orten seine interkulturell bepackten Koffer plazieren wird. Nehmen Sie Platz und sehen Sie sich um!

Im Crossover der Stile hat das Signum Pop nach wie vor eine herausragende Stellung: Die lebensgroße Comicfigur von Takashi Murakami (New York), die provokant und dominant im Bezug zu Jeff Koons (und der Sammlung Ludwig) steht, ist wie dieser der «Lonesome Cowboy»/21 - Insignien der Popkultur der 90er Jahre. Ähnlich populär und gleichsam eigenständiger sind die Malereien und Skulpturen von Yoshitomo Nara (Köln) mit ihren drolligen bis bitterbösen Kindern und Hunden./22 Hier lassen sich Wechselwirkungen der Kulturen deutlich festmachen und leiten über in die beiden nächsten Bereiche.

Die Leere. Ein Leitgedanke findet sich in einer Vielzahl von Beiträgen wieder: der in blaues Licht getauchten Installation «Summer Guest» von Kazuo Katase/11 (Kassel), den Glas-Kuben und Skulpturen von Yuji Takeoka/40 (Düsseldorf) oder den Fotografien von Meerlandschaften oder Drive-In-Kinos von Hiroshi Sugimoto/38 (New York). Das Verhältnis von Raum und Zeit, von Licht, Luft und Atmosphäre ist entfernter auch in Malereien und Videos zu erkennen, doch spiegeln diese Eindrücke ebenso Erwartungshaltungen der westlichen gegenüber der östlichen Kultur. Demnach bezeugen die Leere in philosophischer Tradition als absolute Wesenheit aller Dinge (sunyata) und die Versenkung des Individuums in der Spur der Zeichen und Dinge ein Wunschdenken. Wenn Keiko Sato (Nijmegen) in landschaftsartigen Bodenarbeiten aus Flaggen, Knete/36 oder Zigaretten die Relativität allen Denkens und Fühlens aufzeigt, wenn Sushan Kinoshita/12 (Maastricht) in bühnenartigen Inszenierungen vom Verhältnis aller Erscheinungen erzählt, sind wir der Leere womöglich auf der Spur, gleichwohl wir die Eingeschränktheit unseres Horizontes erfassen. Ebenso ästhetisch bezeichnet Koo Jeong-a/14 (Paris) in ihren schlichten Installationen, Skulpturen und Fotografien konzentriert die Eigenheit und Besonderheit der Dinge.

In der Malerei behandeln Jun Hasegawa/09 (London) und Naofumi Maruyama/19 (Kanawaga) unterschiedliche Themen: vom schablonenhaften, oberflächlich reduzierten Bildnissen als Cut-Outs bis zur atmosphärischen Landschaft mit Märchenszenen oder Skifahrern. Verträumt und puristisch zugleich ist die Leere!

Tradition und High-Tech. Mit Nam June Paik/29 (New York), dem in Deutschland überaus populären «Vater der Videokunst» ist der global-mediale Bereich als Dialog vertreten, in dessen Nachhall Künstlerinnen wie Mariko Mori/20 (New York) ganz selbstverständlich die mystische Tradition mit popartiger Virtual Reality kombinieren. Das globale Dorf ist heute über die mediale Vernetzung der Welt denkbar als auch real geworden, so dass die Stille und gleichzeitige Sensibilisierung für die inszenatorischen Kräfte des Alltags bei Chino Otsuka/27 (London) in Fotografien und bei Tomoko Take/39 in Videos Normalität vorscheinen lassen. Beide sprechen von der eigenen Prägung, über die Kulturbarrieren und das erwartete Klischee des Westens gegenüber dem Exotismus des Ostens hinweg.

Im Wunsch nach Schutz baut Yukako Ando/01 (Duisburg) annehmlich ausgestaltete Hüllen und Chiharu Shiota (Berlin) nutzt die performativen Energien und ihren Körper, um wie die einflußreiche Gu-tai Gruppe (1954-1972) ihre Gefühlslagen und Traditionsängste zwischen den Kulturen zu bändigen und aufzubrechen.

Lokalkolorit - Globalkolorit. So plädiert der Beitrag der «Leere in Bewegung» für einen Dialog zwischen den Kulturen und Nationen, in einer Ausstellung, die sich gegen die Fehlübersetzung der hybriden Kultur wendet. Wie Takehito Koganezawa/13 (Berlin) zitatreich in seiner Videoarbeit von der Unendlichkeit und Unmöglichkeit der visuellen, sprachlichen und symbolischen Beziehungen spricht, «erweist sich jetzt die Rede von der neuen Ortlosigkeit, der Flexibilität und der Verfügbarkeit als wesentlich für eine scheinbar ganz und gar neue Logik transnationaler Existenzen und diasporischer Identitäten» (Ruth Mayer/Mark Terkessidis). Erleuchtend ist die Erkenntnis nicht, dass es stets die Probleme sind, welche sich globalisieren.