Globalisierung. Wenn das 20. Jahrhundert das Jahrhundert Amerikas war,
dürfte das 21. Jahrhundert das Asiens werden. Letztlich leben über 60% der
über sechs Milliarden Menschen zählenden Weltbevölkerung auf diesem
Kontinent. Die Vorbildfunktion asiatischer Geschäftigkeit,
Gesellschaftsstruktur und Mystik genießt in der westlichen Welt hohe
Akzeptanz. Mediale Integration hat als bunte Welt der Bilder und Klänge, der
Mode und Autoindustrie, der Nahrung und der Ästhetik längst stattgefunden.
Japan, das Land, das uns Walkman und tragbares Fernsehgerät geliefert hat,
wird uns bald den Internetzugang per Handy am Handgelenk ermöglichen. Die
Miniaturisierung jeglicher Medienbereiche, das Aufeinandertreffen von
traditioneller Kultur und Stille auf fortschrittliche High-Tech und
hektische Geschäftigkeit erscheinen als Konsequenz der globalen Entwicklung,
die das lokale, krisengeschüttelte Japan, aber auch unseren Blick auf die
KünstlerInnen aus Japan und Korea prägen.
Service und Pop. Folgerichtig beginnt der Rundgang durch den ostasiatischen
Teil von CONTINENTAL SHIFT im Zentrum Aachens vor dem Stadtheater. Hier hat
Tazro Niscino/23 (Köln) ein Hotel aus
Baucontainern installiert, das
Reisenden für eine Nacht Unterkunft bietet. «Hotel Continental» ist Ausdruck
des multikulturellen Aufeinandertreffens und Reisens, das Denkmal der
«Fröhliche Hengst», 1962, von Gerhard Marcks steht im Foyer, ist Symbol für
die ungeheuren Veränderungen der asiatischen Metropolen und des Transports
und Handels. Buchen Sie Ihre Übernachtung im luxuriösen Doppelzimmer!
In allen vier Städten hängen die kleinen Boxen von Tsuyoshi
Ozawa/28
(Tokio). In der «New Nasubi Gallery» hat er Künstler aus der Euregio
eingeladen, auch Teilnehmer bei CONTINENTAL SHIFT zu werden. In der
Öffentlichen Bibliothek der Stadt Aachen zeigen Tomoko Take
und Chikako
Watanabe/44 (beide Amsterdam) ihr Projekt
«Go berry wild !», einen Workshop
mit Kindern. Die Reise zum Mars und das Retten wundervoller Pflanzen bildet
den Background für ein über Mode, Popsong und Fanartikel abgerundetes
Merchandising.
Unter dem Stichwort und Klischee des «Service» gehen die Künstler Tazro
Niscino, Tsuyoshi Ozawa,
Tomoko Take und Chikako
Watanabe
auf Veränderungen
des Kunstkontextes ein, indem neue Räume, Systeme und Kommunikationsmuster
gesucht werden. Ebenso verweisen Rirkrit Tiravanija
(New York) und Navin
Rawanchaikul (Fukuoka) mit ihrem Tuk Tuk/31, einem
thailändischen Taxi, auf
die angesprochenen Phänomene, wie auch der Neuseeländer Peter
Robinson/33
(Berlin) transnational an allen Orten seine interkulturell bepackten Koffer
plazieren wird. Nehmen Sie Platz und sehen Sie sich um!
Im Crossover der Stile hat das Signum Pop nach wie vor eine herausragende
Stellung: Die lebensgroße Comicfigur von Takashi Murakami
(New York), die
provokant und dominant im Bezug zu Jeff Koons (und der Sammlung Ludwig)
steht, ist wie dieser der «Lonesome Cowboy»/21 - Insignien der Popkultur der
90er Jahre. Ähnlich populär und gleichsam eigenständiger sind die Malereien
und Skulpturen von Yoshitomo Nara (Köln) mit
ihren drolligen bis bitterbösen
Kindern und Hunden./22 Hier lassen sich Wechselwirkungen der Kulturen
deutlich festmachen und leiten über in die beiden nächsten Bereiche.
Die Leere. Ein Leitgedanke findet sich in einer Vielzahl von Beiträgen
wieder: der in blaues Licht getauchten Installation «Summer Guest» von Kazuo
Katase/11 (Kassel), den Glas-Kuben
und Skulpturen von Yuji Takeoka/40
(Düsseldorf) oder den Fotografien von Meerlandschaften oder Drive-In-Kinos
von Hiroshi Sugimoto/38 (New York).
Das Verhältnis von Raum und Zeit, von
Licht, Luft und Atmosphäre ist entfernter auch in Malereien und Videos zu
erkennen, doch spiegeln diese Eindrücke ebenso Erwartungshaltungen der
westlichen gegenüber der östlichen Kultur. Demnach bezeugen die Leere in
philosophischer Tradition als absolute Wesenheit aller Dinge (sunyata) und
die Versenkung des Individuums in der Spur der Zeichen und Dinge ein
Wunschdenken. Wenn Keiko Sato (Nijmegen)
in landschaftsartigen Bodenarbeiten
aus Flaggen, Knete/36 oder Zigaretten die Relativität allen Denkens und
Fühlens aufzeigt, wenn Sushan Kinoshita/12
(Maastricht) in bühnenartigen
Inszenierungen vom Verhältnis aller Erscheinungen erzählt, sind wir der
Leere womöglich auf der Spur, gleichwohl wir die Eingeschränktheit unseres
Horizontes erfassen. Ebenso ästhetisch bezeichnet Koo
Jeong-a/14 (Paris) in ihren schlichten
Installationen, Skulpturen und
Fotografien konzentriert die Eigenheit und Besonderheit der Dinge.
In der Malerei behandeln Jun Hasegawa/09
(London) und Naofumi Maruyama/19
(Kanawaga) unterschiedliche Themen: vom schablonenhaften, oberflächlich
reduzierten Bildnissen als Cut-Outs bis zur atmosphärischen Landschaft mit
Märchenszenen oder Skifahrern. Verträumt und puristisch zugleich ist die Leere!
Tradition und High-Tech. Mit Nam June Paik/29
(New York), dem in
Deutschland überaus populären «Vater der Videokunst» ist der global-mediale
Bereich als Dialog vertreten, in dessen Nachhall Künstlerinnen wie Mariko
Mori/20 (New York) ganz
selbstverständlich die mystische Tradition mit
popartiger Virtual Reality kombinieren. Das globale Dorf ist heute über die
mediale Vernetzung der Welt denkbar als auch real geworden, so dass die
Stille und gleichzeitige Sensibilisierung für die inszenatorischen Kräfte
des Alltags bei Chino Otsuka/27
(London) in Fotografien und bei Tomoko
Take/39 in Videos Normalität
vorscheinen lassen. Beide sprechen von der
eigenen Prägung, über die Kulturbarrieren und das erwartete Klischee des
Westens gegenüber dem Exotismus des Ostens hinweg.
Im Wunsch nach Schutz baut Yukako Ando/01
(Duisburg) annehmlich
ausgestaltete Hüllen und Chiharu Shiota (Berlin) nutzt die performativen
Energien und ihren Körper, um wie die einflußreiche Gu-tai Gruppe
(1954-1972) ihre Gefühlslagen und Traditionsängste zwischen den Kulturen zu
bändigen und aufzubrechen.
Lokalkolorit - Globalkolorit. So plädiert der Beitrag der «Leere in
Bewegung» für einen Dialog zwischen den Kulturen und Nationen, in einer
Ausstellung, die sich gegen die Fehlübersetzung der hybriden Kultur wendet.
Wie Takehito Koganezawa/13 (Berlin)
zitatreich in seiner Videoarbeit von der
Unendlichkeit und Unmöglichkeit der visuellen, sprachlichen und symbolischen
Beziehungen spricht, «erweist sich jetzt die Rede von der neuen
Ortlosigkeit, der Flexibilität und der Verfügbarkeit als wesentlich für eine
scheinbar ganz und gar neue Logik transnationaler Existenzen und
diasporischer Identitäten» (Ruth Mayer/Mark Terkessidis). Erleuchtend ist
die Erkenntnis nicht, dass es stets die Probleme sind, welche sich
globalisieren.
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