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Marjorie A. Jongbloed / "For R>EAL" /
Die Positionierung der Kunstwerke in den elf zur Verfügung stehenden
Sälen/Räumen des Bonnefantenmuseums folgt keiner narrativen, historischen
oder formellen Struktur. Indem jede Künstlerin, jeder Künstler ihren/seinen
eigenen Raum erhält, wird versucht, den streng thematischen Zweck (Aufbau)
des Austellungsprojektes CONTINENTAL SHIFT - Kunst von nicht-westlichen
Künstlern in Europa - mit seiner inventarisierenden Konnotation zu
kompensieren. Aus dem selben Grund schien es wünschenswert, sehr
zurückhaltend didaktische Instrumente wie Wandtexte, Wandtafeln und eine
zwingende Museumsarchitektur einzusetzen. Nach Rücksprache mit dem Künstler
wurde nach einer Raumaufteilung gesucht, die an erster Stelle mit dem Inhalt
und den formellen Eigenschaften der ausgestellten Arbeiten korrespondiert.
Es ist jedoch möglich, die Ausstellung mit den zwei zentralen Themen «der
Körper» und «die Erzählung» im Hinterkopf behaltend zu durchlaufen. In der
Arbeit der teilnehmenden Künstler Fernando Alvim
, Ghada Amer, Zarina Bhimji,
Andries Botha, Mary
Evans, Meschac Gaba,
Kendell Geers, Everlyn Nicodemus,
Olu Oguibe, Yinka
Shonibare und Barthélémy
Toguo kehren diese beiden Themen
auf verschiedene Art und Weise zurück. Im Fall von Ghada Amer, Zarina
Bhimji, Andries
Botha, Mary Evans,
Kendell Geers
und Barthélémy Toguo wird
der Körper als intimster und gleichzeitig als «buchstäblichster» Ort
gebraucht, auf dem Bedeutung und Inhalt entstehen. Die Fotoinstallation von
Andries Botha/48 (Südafrika, 1952)
ist in diesem Zusammenhang exemplarisch.
In «White Skin Blue» archiviert Botha die Haut von weißen obdachlosen
Männern aus Johannesburg. Die Haut voller Narben und Tätowierungen ist hier
im wahrsten Sinne Bedeutungsträger.
Die Idee des Körpers als historisches Archiv formt auch ein wiederkehrendes
Element in den Arbeiten von Ghada Amer (Ägypten/New York, 1963), Zarina
Bhimij (Uganda/London), 1963) und
Mary Evans (Nigeria/London 1963). Unter
der Oberfläche der betörenden Schönheit von schwarzem Samt mit Chiffon,
rotem Pfeffer oder Schamhaar, verträumten Landschaften und Gärten erzählt
Bhimji von Sklaverei, Exotismus und
viktorianischen sexuellen Fantasien.
Mary Evans/49 analysiert auf
humoristische aber auch beunruhigender Weise
die kulturhistorische Basis von Kinderliedern («Ring-A-Rose») und
Kinderspielen («Wall Hanging») sowie dem Zeichengebrauch im öffentlichen
Raum, in dem jedesmal der Körper eine dominante Rolle spielt. Sowohl im Fall
von Evans monumentalen Wanddekorationen als
auch von Bhimjis Fotos wird der
Körper als der ultimative Ort mobilisiert, auf dem die Konsequenzen von
(abstrakten) Erzählungen über Rasse, Klasse und geschlecht sichtbar und
fühlbar werden. Die bestickten Tücher von
Ghada Amer/47 sind auf den ersten
Blick in ihrer Art weniger besinnlich. Ihre träumenden Hausfrauen und
Pin-Ups scheinen die populäre Bildersprache der Medien und der Welt der
Konsumartikel nur zu wiederholen. Doch hat
Amers teils ironischer, teils
nostalgischer Blick höhere Ambitionen. Indem sie allbekannte Vorstellungen
in anderen Techniken repetiert und in einem musealen Kontext zeigt, macht
sie dem Zuschauer bewusst, dass es noch immer, dreißig Jahre nach der großen
feministischen Bewegung, die selben Stereotypen sind, die Frauen als
Identifikationsmittel vorgehalten werden. Im Fall von
Barthélémy Toguo/55
(Kamerun/Düsseldorf, 1967) und Kendell
Geers/51 (Südafrika, 1968) wird
weniger über die Geschichte des präsentierten
Körpers gesprochen als mit
einem durch und durch konkret anwesenden Körper. Barthélémy Toguo
kommuniziert über seinen Körper. In seinen Kollagen, Plakaten, Fotos und
Performances gebraucht er seinen Körper, um auf die Mechanismen in der
westlichen Gesellschaft hinzuweisen, die Individuen (Körper), die von der
Norm abweichen, als «fremd» oder «anders» klassifizieren. Ein
wiederkehrendes Motiv ist «der Körper an der Grenze». Was stellt für wen
eine Grenze dar? Die Pappkartons, die den Boden von
Toguos Kabinett
bedecken, verweisen auf diese Thematik: die Lebensmittel, die darin verpackt
waren, haben Europa ohne Probleme erreicht, aber was wäre geschehen, wenn
die Kartons nicht westliche Körper verborgen hätten? In den
Videoinstallationen «Title Withheld (Shoot)» von
Kendell Geers wird
schließlich der Körper des Zuschauers «unter Beschuss» genommen. Eine
Montage von verschiedenen Helden aus unter anderem Woo/Kong- und
Tarantino-Filmen «Indiana Jones» und «Terminator» ist in Kombination mit der
ohrenbetäubenden Tonbandaufzeichnung ein Beispiel der Vorgehensart, mit der
Geers in seiner Arbeit den Zuschauer auf radikale Art über körperliche
Sensationen mit Gewalt, Angst und Überlebenswille konfrontriert. In der
Tradition von Vito Acconci, Chris Burden und Carolee Schneemann untersucht
Geers die ikonografischen und kinetischen Qualitäten eines Körpers und von
psychologischen Bewusstseinszuständen.
Das Konstruieren und vor allem das Dekonstruieren von bekannten und
persönlichen Erzählungen vereinigt die Arbeit(en) von Yinka
Shonibare
(England, 1962), Olu Oguibe/53 (Nigeria/New York, 1963), Everlyn
Nicodemus/52 (Tansania/Brüssel, 1954),
Meschac Gaba (Benin/Amsterdam, 1961)
und Fernando Alvim/46 (Angola/Brüssel, 1963).
Meschac Gaba/50 bringt zum
Beispiel das Fehlen eines institutionellen und finanziellen Kontexts für
afrikanische Kunst in seinem Museumsprojekt «Musée Africain contemporain»
zur Sprache. Er kombiniert die verschiedenen «Editionen» seines Museums mit
einem «happening», in dem er selbst die Hauptrolle spielt. Yinka
Shonibare/54 tritt ebenfalls
häufiger in seiner Arbeit auf. In einer seiner
weniger erzählenden Arbeiten mit dem Titel «Double Dutch» ist er jedoch
abwesend. In dieser Installation von fünfzig mit Stoff bespannten Paneelen
verwendet Shonibare Stoff mit einem
afrikanischen Muster, um über die
komplexen Beziehungen zwischen Kolonialmacht/Besiedelten und Orginal/Kopie
anzusprechen. Die Stoffe werden nämlich nicht mehr wie früher in Indonesien,
sondern in England produziert und anschließend nach Afrika verschifft und
dort verkauft. Was demnach als ein Orginalprodukt gesehen wird und in dieser
Bedeutung als Symbol für ethnischen und nationalen Stolz gebraucht wird, ist
in Wirklichkeit 'nur‘ eine Kopie. Der Titel «Double Dutch», er bedeutet
unter anderem «verworrenes Zeug», unterstreicht nochmals das Fehlen
jeglicher Logik.
Was bedeuten Reinheit, Orginalität und Authentizität, wenn ein Stoff in den
Niederlanden entworfen in Indonesien hergestellt und später in England
weiterverarbeitet synonym für Afrika steht?
Das Verlangen nach Wirklichkeit, das in allen Arbeiten dieser Ausstellung
nach vorne tritt, beantwortet nicht zum ersten Mal in der Geschichte der
Kunst den Wunsch nach Direktheit und Authentizität. Das Dekonstruieren von
Grenzen, das Schaffen von eigenen, neuen Räumen und das Verlangen nach einer
intensiveren Wahrnehmung sind Strategien, um der Wirklichkeit über (die)
Kunst dichter, genauer, ehrlicher etc. näher zu kommen. Das bedeutet jedoch
nicht, dass dabei auf einen naiven Glauben an die mimetische Funktion der
Kunst zurückgegriffen wird. Die teilnehmenden Künstler verbindet nämlich
nicht so sehr der Wunsch, die Wirklichkeit über das Mittel der Mimesis
(Nachahmung) kennenzulernen - es besteht schließlich nicht nur eine
Wirklichkeit - als vielmehr über ein Kunstwerk Verfahren zu entwickeln, die
alternative Umgangsformen mit der modernen Welt vorstellen. Das Kunstwerk
ist nicht länger eine fiktive Konstruktion, die als Fenster zur Welt
funktioniert, sondern das Kunstwerk besetzt eine Art Zwischenraum, in dem
Gleichnisse zwischen Realität und Kunst, Tatsache und Fiktion entdeckt
werden können. Kunst ist «For R>EAL oder vielleicht schon wirklicher (>) als
die Realität.
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