WOLFGANG KNAUFF/WALTRAUD NIESSEN / catalogue, pp 228-231
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Internet versus Kunst versus Kultur Nie zuvor hat sich eine Veränderung mit einer solchen Rasanz vollzogen. Nie zuvor hat ein Medium so viele andere in sich vereint, haben so viele Menschen und Disziplinen gleichzeitig an einem einzigen Projekt gearbeitet. Nie zuvor waren die technischen Voraussetzung für Kommunikation so günstig. Und niemals vorher ist eine Entwicklung von Anbeginn derartig ausführlich thematisiert, diskutiert und reflektiert worden. - Es geht um das Multi-Medium Internet. 1996, durch die Kulturarbeit in einem leerstehenden Ladenlokal, der <raststaette>, in der wir seit einem knappen Jahr Veranstaltungen organisierten, kamen der Informatiker <christian_scholz> und der Provider /1 <thomas_ neugebauer> mit dem Vorschlag auf uns zu, ein kostenfreies Internetcafé zu eröffnen. Für dieses sich rasch entwickelnde Medium, eigentlich einem Gemengsel verschiedener Dienste und Techniken, sollte der Kulturraum <raststaette> um eine Art bürgernaher, kulturorientierter Informationsschnittstelle für neue Medien erweitert werden.
... ich zaehle hoch, sehe kurz das stueck buffern - hoere
fuer bruchteile die musik - dann bricht der stream
wieder zusammen, faellt wieder auf stueck zwei zurueck. Habe
sonst alles in den griff bekommen - pc-version
funktioniert sowieso, denke, dass ich durch laengeres experimentieren
es wohl rausbekommen koennte - aber ich muss
wieder an den text - keine zeit - egal ...
... vorstellung gewinnen durch das modell, was man ihr zugrunde zu
legen vermag. gilt auch und gerade, wenn man
bereit ist, es mehr als eselsbruecke, losgeloest vom diskurs der
theoretiker zu sehen - warum nicht ... Unbestritten ist es ein Phänomen, wie schnell sich das World Wide
Web weiterentwickelt hat und in welchem Masse
künstlerische Projekte in einem Kommunikationsnetz entstanden sind,
das zunächst zur Beförderung des wissenschaftlichen
Austauschs gegründet wurde, wie geradezu begierig Künstler es
als Möglichkeit zur Erschaffung neuer künstlerischer
Ausdrucksformen, als Raum für Utopien entdeckten und
gestalteten./2
Das Internet wird als Medium angesehen, in dem
sich künstlerische Vorstellungen verwirklichen lassen, die schon
einmal in den 50er und 60er Jahren verhandelt
wurden: Die Idee kollektiver Kreativität und die Abwendung vom
Kult des genialen Individuums, der Versuch, eine
nichtkommerzielle Form von Kunst zu finden und die Suche nach
der Möglichkeit einer weltweiten, kulturelle Grenzen
überbrückenden
Kommunikation./3
... kein medium, keine maschine, kein instrument hat sich je
in aehnlich kurzer zeit so massiv in die lebensraueme
nicht nur unserer westlichen welt vorgedraengt wie diese
elektronischen systeme. internet als motor, diesen prozess
weiter zu katalysieren - deckelt das ganze - macht es nahezu
unausweichlich ... Themen also, die zurückreichen in eine Zeit, in der die Kunst,
wenn überhaupt, erst anfänglich mit elektronischen
und gar nicht mit digitalen Medien zu tun hatte und die mit der
Fluxus-Bewegung, John Cage, Wolf Vostell und
(dem frühen) Nam June Paik in Verbindung zu bringen sind. Begriffe
wie Internationalismus, Experimentalismus,
Ikonoklasmus, Intermedialität und Vergänglichkeit verschlagworten
Konzepte, die für die Absicht stehen, den
traditionellen Status von Kunstwerken aufzulösen. Nicht der
Werkcharakter, sondern vielmehr der Gemeinschafts- und
Ereignischarakter von Kunst sollte im Vordergrund stehen.
... der streit darum, was menschen bewegt, was der einzelne
an bewegung unternimmt und damit gesellschaft
gestaltet, oder ob der fremdbestimmung grosser mechanismen
- betrachtet man die kurze geschichte des internet,
denke ich immer an die traeume, die dahinterstehen muessen
als schluessel fuer das, was entsteht ...
Durch das Projekt <netzkulturen>, das von <gregor_ jansen> damals initiiert wurde und sich durch die Mitwirkung einer grossen Anzahl von Ideengebern zu einem erfolgreichen ersten Diskussionspodium entwickelte, war <raststaette> unmittelbar in Sphären dieser virtuellen Welten eingetaucht. Bald nach Eröffnung des Internetcafés <planet _wipeout> im
April entstand der Wunsch, auch mit Inhalten im Netz
vertreten zu sein. Zusammen mit <christian _scholz> wurde zu
dieser Zeit der Kulturserver <heimat.de> gegründet.
Ausgehend von der Idee, für Aachen ein virtuelles,
kulturorientiertes Stadtviertel zu schaffen, entstand durch den
Umzug von <jan_edler> nach Berlin und im Zusammenhang mit der
Ausstellungsbeteiligung an der <saldo> in Düsseldorf
das Netzwerk der heimat-Server in verschiedenen Städten und
Regionen.
... einfache bilder - aber hilfreich zu verstehen, warum
diese menschengruppe aus dem vornehmlich universitaeren
bereich sich entscheidet, die dienste des netzes nach hause
zu holen - gruppen, die sich damals zu vereinen
zusammengeschlossen haben, gemeinsam diese noch sehr teuren
dienste im heimischen umfeld zu ermoeglichen - frage
mich, wieviel man ansonsten bereit ist, von seiner arbeitswelt
nach zuhause zu ziehen ...
Ähnliche Ansätze lassen sich bei künstlerischen Experimenten
mit elektronischen Medien der 70er und 80er und im Internet
ab Anfang der 90er Jahre finden.
/4
... habe mit erstaunen ploetzlich zwischen ihnen gestanden -
eine fremde sprache - ein fremdes gefuehl. zu sehen,
dass ihre wirklichkeit der eines fremden kontinentes gleicht -
so nah und doch fern - wollte nur zusehen - ihr
sprache nicht wirklich erlernen ...
Aus dem Interesse, Internetseiten aus Datenbanken zu generieren, sowie der Notwendigkeit, aktuelle Veranstaltungsdaten anzubieten, begannen Ende 96 die Vorarbeiten zum Kulturdatennetzwerk <culturebase>. Ausgehend von Event- und Adressdatensätzen, die sich im weitesten Sinne um Kunst, Kultur und kommunale Belange bewegen, ist hier das Projekt mit der gesellschaftlich weitreichendsten Tiefenwirkung entstanden. Neben der flächendeckenden Versorgung immer grösserer Regionen mit Datensätzen entstanden neue gesellschaftliche Netzwerke. Auch Schriftsteller haben sich immer schon mit neuen
technischen Aufschreibesystemen auseinandergesetzt. Im
Internet haben in der letzten Zeit im deutschsprachigen
Raum einige grössere literarische Experimente stattgefunden,
etwa das Online-Tagebuch von Rainald Goetz, dessen Entstehung
man in "Echtzeit" mitverfolgen konnte oder das
"novel-in-progress"-Projekt von Mathias Politycki,
/6 bei dem
Leser an eigenen Erzählsträngen des Romans weiterschreiben
konnten - nicht allerdings an denen Polityckis selbst.
Schriftsteller-Gemeinschaftsprojekte der jüngeren
Schriftstellergeneration wie "Pool"
</7 - ein literarischer
Salon für die Öffentlichkeit - und "null",
/8 bei dem
innerhalb des letzten Jahres eine Anthologie mit Texten
junger Autoren entstanden ist, haben allerdings gezeigt,
dass die Autoren kein sehr grosses Interesse an besonders
komplexen Hypertextstrukturen und der Einbindung anderer
Medien haben. Der Austausch untereinander, Unmittelbarkeit,
Öffentlichkeit und Aktualität scheinen die bedeutsameren
Gründe für ihre Netzaktivitäten zu sein.
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... irgendwie ist 1984 an mir voruebergegangen - als
alle drüber sprachen, und ich bin bis heute nicht genau im
bilde, was diese erzaehlung angeht. habe aber ein bild vor
augen von einem mann in einer erdfarbenen, duesteren,
kargen behausung, in der einige elektronische einstreuungen
das wenige bildblau erzeugen ... Der Weg zur eigenständigen Internet-Literatur jedoch scheint
noch lang, bedarf womöglich einer noch jüngeren,
mit dem Internet aufgewachsenen Autorengeneration. Vielleicht
schliessen sich aber Internet und Literatur,
Lesen-Wollen auch aus, und es entstehen eines Tages multimediale,
nicht mehr in klassische Kategorien einzuordnende
Kunstformen, die unter anderen auch geschriebene Textkomponenten
enthalten und die anders sozialisierte Rezipienten
erfordern.
... aber es wird klar, dass orwell nichts von der wirklichen
brutalitaet geahnt haben kann - nicht der grosse
bruder, der uns ueberwachungssysteme aufzwingt, keine fremde macht,
sondern wir selber sind es, die mit all unserer
energie uns verkabeln und vernetzen. sehen nicht - oder wollen es
nicht sehen ...
Genau wie <raststaette>, in der nach wie vor
auch klassische Veranstaltungsaktivitäten laufen, waren Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Räume, so unterschiedlich sie
auch in der Ausprägung sein mögen, bedeutet
die Tatsache, dass wir uns um Schnittstellenbildung bemühen. Dies meint
eine möglichst grosse Offenheit gegenüber
bestehenden Projekten und Institutionen, was sich an einer Vielzahl von
Kooperationen der letzten fünf Jahren
ablesen lässt.
... ich erinnere mich, wie wir klingelschilder umschraubten, uns an
der tuere von anderen verleugnen liessen -
nicht in die erfassungsboegen der volkszaehlung zu geraten, haben unsere
alten papierausweise noch ein letztes mal
verlaengern lassen - nicht so rasch den neuen verhassten plastikausweis
zu bekommen, den wir zu recht umittelbar
mit einem magnetstreifen ausgestattet waehnten ...
Im Bereich der bildenden Kunst hat die Zunft der Kunsthistoriker
schon fleissig verschiedene methodische
Herangehensweisen bei Kunstprojekten im Internet unterschieden:
produktions-, werk- und rezeptionsorientierte
Ansätze,
/10 wobei
letztere wiederum unterteilt werden können in
die Netzkunst-Kategorien reaktive, interaktive und
partizipative Arbeiten sowie Kontextsysteme.
/11
Kategorien, die ein Spektrum umfassen von Kunst, die rein passiv
rezipiert wird, bis hin zu Kunst, die allererst durch die
Aktivität vieler entsteht. Diese Einteilungen sind
hilfreich und richtig, aber möglicherweise auch noch nicht
endgültig.
... nicht mehr eine identitaet, die bei allen vorbehalten
gegen einen nationalismus, an eine verortung per geburt,
deren kultur und denkprinzipen gebunden ist, die mich eimal
gepraegt haben ( - heimat - shift ), - sondern konsum
und meine marktfaehigkeit als erkennungsmerkmal ...
Unsere Projekte im Netz durchzog immer wieder der Gedanke,
die Prozesse rund um die Inhalte und Strukturen des Netzes
fassbarer und transparenter zu machen, die Dienste und Möglichkeiten
für Kulturschaffende und Bürger zu öffnen. Bewegung und damit
Kultur in dieses Netz zu bringen, wird in den Köpfen aufgrund seiner
Möglichkeiten oft schneller weitergedacht, ohne dass es bisher zu
wirklich lohnenswerten, greifbaren Ergebnissen führt.
Denn trotz aller Technologie, trotz aller Experimentierfreudigkeit
und aller Reflexion steht das Internet, auch was Formen künstlerischen
Ausdrucks anbelangt, noch am Anfang seiner Entwicklung. Ein paar
Richtungen, in die es weitergehen kann, sind zu erahnen. Doch ein
Ende ist noch lange nicht abzusehen, weil wir die technologische
Entwicklung noch gar nicht recht abschätzen können und vor allem
weil es immer schon gewisse Zeiträume dauerte, in denen wir uns
einüben, organisieren mussten in andere kognitive und mediale Formen
und Strukturen. Wir werden vermutlich die neue mediale Form Internet
noch lange nicht so schnell verinnerlicht haben, wie die
Geschwindigkeit des Mediums uns vorgaukelt.
... haette nie gedacht, dass es mir soviel ausmachen wuerde,
das erste mal den zerbrochenen klang eines klassischen konzertstueckes
aus meinem pc-lautsprecher zu hoeren. los angeles - zerrieben zwischen
codecs, unterschiedlichen komprimierungsraten - trotzdem klang - frage
ich mich bis heute, ob die undeutlichkeit und schmierigkeit, die
imagination mir vorstellungsfreiraum gibt oder mich ihrer schoenheit
beraubt ...
Wenn ich unsere Entwicklung, die gerade knappe vier Jahre umfasst,
wie Geschichte behandele, so ist auch dies Spiegel für die
Schnellebigkeit des Internets. Sicher scheint, dass das schnelle
Wachstum unseres Projektes, das nach wie vor die gesamte
Spannweite von kleinen Veranstaltungen im Bereich "Kultur von unten"
bis hin zu staatlichen Kooperationen beinhaltet, nur durch diesen Motor
Internet und die Menschen, die an seiner Weiterentwicklung geträumt haben,
möglich geworden ist.
Die Erfahrung zeigt, dass viele künstlerisch ambitionierte Projekte im Internet
nach einer Weile oft mangels Eigeninitiative der zur Beteiligung Aufgeforderten
stagnieren oder abgebrochen werden und entgegen ihrem Anspruch zu
Dokumentationen ihrer selbst werden.
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Doch wenn die Projekte aus der Anfangszeit des Internets, mit denen die Netzwerkpioniere von
einem Kongress zum nächsten tourten und Begeisterungsstürme auslösten,
uns auch angesichts ihrer Einfachheit heute teilweise belächelnswert erscheinen, so zeigt das,
dass wir bereits mit dem Medium gewachsen sind, gleichsam internetfähiger
geworden sind. Dass wir spüren, etwas vor uns zu haben, mit dem sich unsere
nicht-lineare, crossmodale Wahrnehmung ausdrücken lässt, und dass uns mit
Computer und Internet ein "Universalmedium zur Verfügung steht, das nicht
nur alle anderen Medien in sich aufnimmt, sondern diese auch wechselseitig
ineinander transformiert"./13
... mir fallen vergebens gefuehrte gespraeche mit dem leiter der
kunstakademie ein, der auf dem silbertablett gereichte hilfestellungen
von internetanschluessen ueber kostenfreien serverplatz glattweg verhinderte
- weil hier gemalt werden soll ...
Welche originär internetspezifischen Kunstformen sich konstituieren werden, ist noch offen. Längst absehbar ist allerdings, dass die gesellschaftliche, kulturelle und künstlerische Auseinandersetzung mit dem Internet unumgänglich und faszinierend ist. Und eine weitere Möglichkeit dazu wird Continental Shift bieten.
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